Besondere Architektur erfordert besondere Statik

Das Luxushotel Kameha Grand Bonn, das mit seinen 254 Zimmern und 62 Suiten von der Hotelgesellschaft Kameha Hotels & Resorts AG betrieben wird, wurde im November 2009 eröffnet. Es ist das kulturelle Zentrum des „Bonner Bogens“, einer Gesamtentwicklung mit 63.000 Quadratmetern neu geschaffenen Grün- und Freiflächen, sowie seit 2003 realisierten 36.000 Quadratmeter Büroflächen auf dem Ufergelände der ehemaligen Portlandzementfabrik. Bauherr und Investor des 100 Millionen-Euro-Projektes ist die BonnVisio-Gruppe mit einer langfristigen Anlagenstrategie.

Besondere Architektur mit Klimakonzept

Die außergewöhnliche Hotelarchitektur stammt vom Bonner Architekten Karl-Heinz Schommer, der zwei ellipsenförmige Gebäudespangen plante, die von einem 28 Meter spannenden Glasdach verbunden wurden. In dieser Zone unter dem Dach befindet sich ein über die gesamte Breite verlaufendes, stützenfreies Atrium mit Luftraum. Dazu Architekt Dipl.-Ing. Volker Hachenberger (Projektleiter im Architekturbüro Schommer): „Hotel Kameha Grand Bonn orientiert sich am städtebaulichen Entwurf: hier am Standort Bonner Bogen ist eine maximale Transparenz des Gebäudes von innen nach außen gefragt. Der Schwerpunkt des Hauses ist das Atrium im Erdgeschoss mit Lobby, Bankett, Restaurant, Halle und Multimediasaal. Alle öffentlichen Bereiche sind dort angesiedelt und stehen großenteils für Veranstaltungen zur Verfügung. Die Halle ist voll verglast – Sonnenschutzglas, Blendschutz und zusätzlicher Sonnenschutz in Form von Rollos verhindern sommerliche Überhitzung und dienen der Lichtregulierung. Für die Zimmer, die mit raumhohen Verglasungen zur Fassade hin ausgestattet sind, wurde eine Kombination aus einem hochwirksamen Sonnenschutzglas und einem innen liegenden Sonnenschutz mit Metalllamellen gewählt. Eine Alternative wäre hier eine Doppelfassade gewesen mit den funktionalen Nachteilen einer derartigen Konstruktion. Durch unsere Lösung lassen sich die Fenster öffnen, man kann Licht und Luft herein lassen.“

Für die Tragwerksplanung war das Bonner Ingenieurbüro Vreden, Henneker + Partner zuständig. Hier waren Dipl.-Ing. Thomas Kasper und Dr.-Ing. Wulf Zillinger, Prüfingenieur für Baustatik für das Projekt verantwortlich. Zur Statik sagte Thomas Kasper: „Die Gebäudegeometrie führt dazu, dass im Erdgeschoss neben dem 28 Meter überspannten Atrium mit Konferenz- und Eventbereich auch in den unteren Geschossen eine weitestgehende Stützenfreiheit mit großen Stützweiten herrscht, dies aufgrund von Konferenz- und Versammlungsräumen. Gefordert war Flexibilität im Nutzungsbereich des Erdgeschoss, wo hingegen in den oberen Geschossen die Zimmergeometrien die Stützenstellungen vorgegeben haben, die sich jedoch nicht bis ins Erdgeschoss fortsetzen durften.“

Um auf Stützen verzichten zu können, sind tragende Wandscheiben in den Obergeschossen angeordnet worden, wo sie zwei- beziehungsweise drei-geschossig als wandartige Träger wirken. Außerdem wurde in Teilbereichen die Fassade tragend ausgebildet, indem dort Vierendeelträger über mehrere Geschosse verlaufen. Dabei handelt es sich im Prinzip um einen biegesteifen Fachwerkträger ohne Druck- und Zugdiagonalen, dessen Stützen und Riegeln ein biegesteifes System darstellen. Im Gegensatz zu einer Fachwerk-Konstruktion, bei der die Tragfähigkeit nur über Zug- und Druckkräfte erreicht wird, tragen bei einem Vierendeelträger auch die Biegungen in den Elementen zur Statik bei.

Anspruchsvoll seien auch die Anforderungen an die Aussteifung des Gebäudes wegen der Erdbebenzone II nach neuer Norm gewesen. Die Bemessung für diese Beanspruchung ergab, dass die Aussteifungslasten aus den Erdbeben-Anforderungen ein Mehrfaches der Windbeanspruchung betrugen, so dass die Erdbebenbeanspruchung maßgebend wurde. „Da im Erdgeschoss eine sehr leichte Tragstruktur mit wenig Elementen vorhanden ist, mussten die hohen Aussteifungslasten über die wenigen Elemente abgetragen werden“, so Dr. Zillinger, der diese Bemessung als eine besondere Herausforderung bewertet. An der Gebäudeposition, an der sich der Vierendeelträger befand, sollte die Stützenfreiheit erzielt werden, trotz der Tatsache, dass darüber im 3. Obergeschoss bauherrenseitig ein Schwimmbecken von 15 Meter Länge vorgesehen worden war. Weitere Schwierigkeit war die Abtragung der Lasten des großen Glasdaches über Kragarme in die massive Konstruktion. Daher konnte nicht im reinen Stahlbetonbau gearbeitet werden, sondern es waren Maßnahmen im Stahlbetonverbundbau notwendig: es wurden Stahlstützen eingesetzt, die einbetoniert wurden. Der Dachbinder, der auf 28 Meter den Innenraum überspannt, ist ein mit Seil unterspannter Träger. An dessen Anschlusspunkten zum Betonbau standen nur 400 Millimeter zur Aufnahme der Last zur Verfügung. “Es war das Problem, dass wir ein Stahlbauteil, das im Millimeterbereich genau gefertigt wird, an einen Rohbau anschließen mussten, der größere Toleranzen zulässt. Daher waren an den Schnittstellen Toleranzen von bis zu 30 Millimeter in jeder Richtung auszugleichen. Es mussten Bauteile auf der Baustelle millimetergenau justiert werden“, sagte Zillinger.


Bedingt durch die eigenwillige Form des Gebäudes war der Wunsch des Architekten, die Dachschale aus Komfortgründen aus Beton zu erstellen, anspruchsvoll. Dazu Kasper: „Eine komplett frei gekrümmte Betonschale weist gewisse Eigenheiten auf. Das fängt bei der Bewehrungsführung und deren Umsetzung an und geht über die Betonierbarkeit bis hin zur Ausführung der Dachspangen. Beispielsweise wird es in den oberen Geschossen verschiedene Dachgärten geben, deren geforderter freier Blick in die Umgebung nur dünne Betonbänder erlauben, die nach oben eine Art Überdachung herstellen.“ Auch war die Schneelast aufgrund der filigranen Konstruktion nicht zu vernachlässigen. Das Dachband, das über den Terrassen verläuft, wird nur am Kopf und am Fuß der Terrasse gehalten, daher erfährt dieses dünne Band über 24 Meter keine Halterung. Aufgrund der einseitigen Auskragung und der Windbelastung gibt es eine Verdrehung erzeugende Kraft in diesem Band. Zum Innenhof hin unterbrechen Stahlarme in einem Abstand von jeweils 8,10 Meter das Betonband.

Thermisch getrennte Rundbögen

Entlang der äußeren Betonbögen am Dach- und Fassadenrand kragt das Gebäude jeweils um 1,30 Meter aus. Durch die filigrane Fassade kam eine klassische Wärmedämmung der Auskragungen nicht in Frage, daher musste eine thermische Trennung eingebaut werden. Dazu Kasper: „Zur Minimierung von Wärmebrücken wurden entlang der beiden äußeren Bögen Isokörbe von Schöck eingebaut, damit sind die Auskragungen von 1,30 Meter im Nordosten und Südwesten vom Gebäude thermisch getrennt. Die statische Besonderheit dabei ist, dass diese Kragplatte erst vertikal hängt und dann immer mehr in eine horizontale Platte übergeht. Das war auch für den Hersteller der Isokörbe bei der Fertigung speziell, denn normalerweise ist das auskragende Teil eine Wand oder eine Deckenplatte. Bei diesem Gebäude ist es aber sowohl als auch.“ Die innovative Lösung für diese konstruktive statische Anforderung bestand darin, den Bogen in viele Abschnitte aufzuteilen und je nach Kräfte den passenden Isokorb einzusetzen. Dies begann im Erdgeschoss mit dem Typ Q, geht über Obergeschosse mit dem Typ D bis auf den Rand des Dachgeschosses mit dem Typ K. Aufgrund der zweiseitigen Beanspruchung im Rundbogen wurden Standard-Elemente Typ D zerschnitten und um 90 Grad wechselseitig gedreht eingebaut wurden. Da unter dem gekrümmten Dachrand die Rettungswege verlaufen, wurde die Brandschutzklasse F90 verlangt. Die Isokörbe bieten mit den integrierten Brandschutzplatten automatisch einen F 90-Schutz. Darüber hinaus wurde mit dem Einbringen von zusätzlichem Promat in den Keilen zwischen den Isokorb-Elementen der vollständige Brandschutz erreicht.

“Für uns ist ganz wichtig, dass wir beim Hersteller Schöck einen technischen Support bekommen. Wir erhielten die Bemessung und die Ausführungspläne, wir können verschiedene Planungsaufgaben, die unsere Kompetenz übersteigt, an die Schöck-Anwendungstechnik delegieren. Der Hersteller liefert zum Isokorb das notwendige Engineering. Wenn Produkte außerhalb des Standard-Details benötigt werden, braucht man die Unterstützung des Herstellers. Diesen zu erhalten ist ein Vorzug von Schöck“, erläutert Kasper.

Raum für Haustechnik

Im Untergeschoss befindet sich eine Großgarage und die Energiezentralen mit jeweils zirka 6 Meter Höhe, auch hier ist eine weitgehende Stützenfreiheit wegen der Leitungsführungen der Lüftungsanlage gefordert. Ein weiteres Thema war das Rheinhochwasser und damit verbunden die Auftriebssicherheit, was eine Rückverankerung der Bodenplatte mit GBWI-Ankern notwendig machte, in Bereichen, in denen nicht genug Auflast von oben aktiviert werden konnte. „Wir haben für die Bauzeit ein Hochwasserschutzkonzept entwickelt, das vorschreibt, wie man bei erhöhten Wasserständen reagieren muss, damit das Objekt nicht aufschwimmt. Der Schürmann-Bau liegt als schlechtes Beispiel auf dem gegenüber liegenden Ufer. Das Hotel liegt jedoch deutlich über dem Hochwasserniveau. Die Tiefgarage und die Untergeschosse wurden als Weiße Wanne ausgeführt“, führt Zillinger aus.

Alle Decken sind mit einer Betonkernaktivierung ausgerüstet, die sich auch unter dem überdachten Atrium befindet. Dabei wird Wasser über Wärmetauscher aus dem Grundwasser bezogen. Die Energiezentrale des Hotels versorgt nicht nur das Gebäude, sondern das gesamte Baufeld: Rheinwerk 2, Rheinwerk 3 und das Objekt Rohmühle. In den Decken sind nicht nur die Verrohrungen der Betonkerntemperierungen verlegt, sondern auch die gesamte Installation, was einen hohen Planungsaufwand erforderte. Eine Vorfertigung der Elemente schied aus, weil jede Fläche andere Abmessungen aufweist.

Beim Bauablauf kam erschwerend hinzu, dass die Decken bis in die Untergeschosse hinunter sehr lange unterstützt bleiben mussten, weil die Tragwirkung diverser wandartiger Träger erst eintrat, nachdem die letzte Decke hergestellt war. Daher musste die Stützung vom Erdgeschoss bis hin zum 5. Obergeschoss belassen werden, bis die Decke über dem 5. Obergeschoss erhärtet war, um das Tragverhalten der Wand als Träger sicher stellen zu können.

Ein nachhaltiges Energiekonzept

Mit einer Symbiose aus passiver Sonnenenergie, intelligenten Kühlsystemen und Ressourcen schonendem Klimakonzept auf Geothermiebasis erfüllt das Kameha Grand Bonn die Ansprüche eines „Green buildings“. Das Hotel wird über eine Geothermieanlage mit einem Akquifer-Speichersystem mit Wärme und Kälte versorgt, das die Energieausbeute durch eine Trennung zwischen Sommer und Winterbetrieb optimiert. Die Energiezentrale, die 80 Prozent der Gebäude des „Bonner Bogens“ versorgen wird, ist im Tiefgeschoss des Hotels untergebracht. Die Grundlastversorgung wird über eine Betonkernaktivierung in den Deckensystemen sichergestellt. Bodenkonvektoren mit einer Frischluftzufuhr decken den Zusatzbedarf ab. In der Glashalle sorgt ein Klimaboden für ganzjährig angenehme Temperaturen. Die Hohlprofile der filigranen Metallkonstruktion werden mit Wasser gefüllt und als Heiz- beziehungsweise Kühlflächen genutzt. Das Klimapaket mit Frischluftzufuhr sorgt für ein angenehmes Raumklima und ermöglicht hochwertige Raum-in-Raum-Lösungen ohne störende Deckenabhängungen für die ansonsten üblichen Klimaanlagen. Andererseits wirkt die Glasarchitektur als passiver Sonnenkollektor.

Für die Nutzung des Grundwassers sind acht Brunnen angelegt. Sie arbeiten im Pendelbetrieb zwischen Sommer- und Winternutzung. Über dieses System werden bis zu 70 Prozent des Kältebedarfs gedeckt. Der Einsatz einer Kältemaschine ist nur für kurze Zeiträume im Hochsommer notwendig. Im Winter liegt der Deckungsgrad über das Grundwasser zwischen 60 bis 80 Prozent.

Die Geothermieanlage mit dem effizienten Akquiferspeicher-System gehört zu den größten Anlagen dieser Art in Europa. Gegenüber einer konventionellen Energieversorgung können so jährlich rund 1.700 Megawattstunde Primärenergieaufwand sowie 400 Tonnen CO2 vermieden werden. Diese Einsparungen resultieren aus der Energieeffizienz der Geothermieanlage, aus der Gebäudearchitektur sowie einer modernen Gebäudeleittechnik mit einer individuellen Raumsteuerung.


Bautafel

Bauherr: BonnVisio-Gruppe, Bonn
Architek: Karl-Heinz Schommer, Bonn

Haustechnik: Brandi IGH Ingenieure, Köln
(Leistungsphasen 1-4),
Andreas Favier, Bielefeld
(Leistungsphasen 5-9)
Fassadenberater: Emmer Pfenninger, Schweiz
KonTec Fassadenberatung, Dormagen
Tragwerk: Ingenieurbüro Vreden, Henneker + Partner, Bonn
Rohbau: ARGE DÜX, Derichs und Konertz, Max Bögl
Bauleitung: Novacon, Bonn
Kragplatten-Anschluss: Schöck Isokorb von der Schöck Bauteile GmbH, Baden-Baden

Downloads
Pressemeldung zum Download
doc, 76 KB